Output / Publikation

Quantentechnologie: Warum Standards vor Regulierung kommen sollten

07. Aug 2025

Quantentechnologien könnten noch transformativer sein als KI. Doch anstatt sich zu einer schnellen Regulierung drängen zu lassen, argumentieren Expertinnen und Experten wie Urs Gasser (TUM), Mateo Aboy (University of Cambridge), I. Glenn Cohen (Harvard) und Mauritz Kop (Stanford) in Science, dass internationale Standards vor Gesetzen stehen sollten, um eine verantwortungsvolle Entwicklung zu gewährleisten.

Über

Quantentechnologien entwickeln sich rasant und versprechen Fortschritte in Wissenschaft und Gesellschaft. Doch mit dieser Innovation gehen erhebliche Risiken einher. Bedrohungen der Cybersicherheit, das Potenzial zur Militarisierung und das weltweite Wettrennen um die Quanten-Vorherrschaft könnten Branchen und Gesellschaften tiefgreifend verändern. Wie können wir sicherstellen, dass diese Entwicklungen allen auf verantwortungsvolle Weise zugutekommen?

Aufbauend auf Erfahrungen aus Hightech-Bereichen wie der Medizin empfehlen die Autorinnen und Autoren ein zertifizierbares Qualitätsmanagementsystem (QMS) für Quantentechnologien. Dieses System soll nicht nur technische Aspekte wie Stabilität und Sicherheit abdecken, sondern auch rechtliche, ethische und gesellschaftliche Überlegungen in Entwicklung und Betrieb integrieren. Ein solcher Ansatz könnte Vertrauen und Verantwortlichkeit schaffen und so die Grundlage für künftige Regulierung auf Basis dieser Standards bilden.

 „Gerade weil die Technologie so komplex ist, müssen technische Standards zuerst kommen“, sagt Urs Gasser, Principal Investigator des Quantum Social Lab am TUM Think Tank und Co-Principal Investigator des Exzellenzclusters TransforM. „Das Problem wird am Beispiel der KI-Regulierung in Europa deutlich: Dort wurde der umgekehrte Weg eingeschlagen. Wir haben nun einen EU-AI-Act, aber die Standards müssen in den kommenden Jahren unter Hochdruck entwickelt werden, um zu verstehen, was die Regulierung bedeutet und wie Compliance in der Praxis aussieht. Das kann erhebliche rechtliche Unsicherheit schaffen und das Innovationsklima in einer entscheidenden Phase belasten.“

Das vollständige Interview mit Urs Gasser finden Sie hier.

Lehren aus der Vergangenheit

Der Erfolg von Technologien wie WLAN oder medizinischen Geräten zeigt deutlich, dass Standards zu verantwortungsvoller Innovation beitragen und Risiken mindern können. So wie die ISO den Datenschutz operationalisiert und die IEEE die drahtlose Kommunikation ermöglicht hat, kann auch die Quantentechnologie von einer breiten Palette an Standards profitieren, die ihr Wachstum lenken und die Kompatibilität zwischen Systemen sicherstellen.

Mehrere Organisationen arbeiten bereits an der Entwicklung solcher Standards für Quantentechnologien. So haben ISO und IEC ein gemeinsames Komitee gegründet, um zentrale Standards für Quantencomputing und Quantenkommunikation zu entwickeln. IEEE und NIST arbeiten gemeinsam an neuen Standards für Post-Quanten-Kryptografie und Interoperabilität. Diese und ähnliche Initiativen sind entscheidende Schritte auf dem Weg zu einem gemeinsamen Rahmen für die weltweite Entwicklung dieser Technologie.
 
Vor diesem Hintergrund schlagen die Autorinnen und Autoren des in Science veröffentlichten Artikels die Entwicklung eines zertifizierbaren Qualitätsmanagementsystems (QMS) für Quantentechnologien vor, das ethische Werte und rechtliche Anforderungen ebenso integriert wie technische Spezifikationen. Solche Systeme könnten von unabhängigen Stellen wie dem TÜV zertifiziert werden und so einen vertrauenswürdigen Rahmen für die Branche schaffen.

Zusammenarbeit über Grenzen hinweg

Standards bieten eine Chance für internationale Zusammenarbeit – selbst zwischen Ländern mit konkurrierenden Interessen wie China, den USA und Europa. Sie schaffen die Grundlage für Investitionen in Quantentechnologien und ermöglichen einen globalen Rahmen, der Innovation und Sicherheit gleichermaßen fördert.

Auch wenn die Entwicklung solcher Standards nicht dem typischen demokratischen Gesetzgebungsprozess folgt und ihre eigenen Grenzen hat, ist sie keineswegs ein rein technokratisches Unterfangen. Standardisierungsorganisationen bringen zunehmend eine breite Vielfalt an Akteuren zusammen – Unternehmen, Zivilgesellschaft, Forschungseinrichtungen und Regierungsbehörden –, um sicherzustellen, dass gesellschaftliche Anliegen wie Datenschutz, Sicherheit und Inklusion berücksichtigt werden.

Ein Aufruf zum Handeln

Das Papier fordert Regierungen dazu auf, zunächst aktiv an der technischen Standardsetzung mitzuwirken und darauf aufbauend rechtliche Regelungen zu entwickeln. So kann sichergestellt werden, dass nationale Politiken mit dem globalen technologischen Fortschritt im Einklang stehen und gleichzeitig lokale gesellschaftliche Debatten berücksichtigt werden.

Zum Policy Paper (Englisch) 

Dieses Policy Paper integriert Erkenntnisse aus dem Quantum Social Lab am TUM Think Tank und trägt zu den laufenden Diskussionen im Exzellenzcluster TransforM bei.

Urs Gasser

Chair for Public Policy, Governance and Innovative Technology at TUM

Mateo Aboy

Director of Research, Centre for Law, Medicine, and Life Sciences, University of Cambridge

I. Glenn Cohen

Deputy Dean, Harvard Law School

Mauritz Kop

Founding Director, Stanford Center for Responsible Quantum Technology