Output / Meinung

Gedeihen in der Disruption: Erkenntnisse vom European Resilience Summit

von Philipp Müller
26. Sep 2025

Warum Resilienz und nicht Souveränität

Warum Resilienz und nicht Souveränität

Der European Resilience Summit in Berlin begann mit einem einfachen Perspektivwechsel: Nicht Souveränität, sondern Resilienz sollte uns leiten. Souveränität erzeugt in einer globalisierten und digitalisierten Welt oft Angst – das Gefühl, dass wir ungeschützt sind, wenn wir nicht alles kontrollieren. Resilienz verringert diese Angst, indem sie den Fokus darauf legt, was wir gemeinsam tun können. Sie bedeutet, in Zeiten der Disruption zu gedeihen. Sie bedeutet, selbst zur Veränderung zu werden, statt auf sie zu warten. Und sie bedeutet, anzuerkennen, dass Europas Zukunft nicht durch Abschottung gesichert wird, sondern durch Prozesse, Vertrauen und Netzwerke.

Was wir gefragt haben

Der Gipfel gliederte sich um vier Leitfragen, die dazu dienten, Dimensionen voneinander zu trennen, die in öffentlichen Debatten oft verschwimmen. Diese Trennung ist entscheidend: Manche Teilnehmende sind überzeugt, dass Open Source die Lösung ist, andere setzen ihr Vertrauen in Hyperscaler. Doch durch die klare Aufteilung der Fragen zeigte sich ein gemeinsamer Nenner – beide Dimensionen müssen weiterentwickelt werden.

    •  Wie können wir Organisationen widerstandsfähiger machen, ohne sie abzuschotten?
    • Wie können wir in Europas Schlüsselindustrien resiliente Strukturen aufbauen?
    • Wie können wir globale Plattformen zu europäischen Bedingungen integrieren?
    • Wie können wir eine gemeinsame Resilienz-Kultur fördern?

Diese Fragen sind nicht theoretisch. Sie sind praktische Perspektiven, um über menschliche, institutionelle und letztlich gesellschaftliche Resilienz auf europäischer Ebene nachzudenken.

Wie wir gearbeitet haben

 Wir hörten Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Gerald und Francesca Knaus erinnerten daran, dass das europäische Projekt heute stärker bedroht ist als zu jedem Zeitpunkt seit 1949. In Anlehnung an ihr bald erscheinendes Buch „Wie wir Europa retten können“ argumentierten sie, dass Europa immer von Menschen verteidigt wurde, die durch traumatische Erfahrungen geprägt waren – Menschen wie Jean Monnet, der sein eigenes Trauma in Kreativität verwandelte. Francesca brachte dies in die Gegenwart, indem sie Geschichten ihrer Freundinnen und Freunde aus Georgien und der Ukraine erzählte – Menschen, die sich für Demokratie einsetzen und dennoch ein ganz normales Leben führen. Das erinnerte daran: Resilienz beginnt bei den Menschen.

Ammar Alkassar und Ralf Schneider (Allianz) verankerten die Diskussion dann in den Institutionen. Ralf erläuterte, wie Allianz Resilienz zur Grundlage ihrer profitablen Wachstumsstrategie gemacht hat – und damit zeigte, dass Kerngeschäft und Widerstandsfähigkeit sich gegenseitig stärken können. Ammar stellte diese Überlegungen in den Kontext von Deutschlands Verantwortung in Europa.

Udo Riedel erklärte die fünf Elemente des NIST-Cybersicherheitsrahmens im Detail: Identifizieren, Schützen, Erkennen, Reagieren und Wiederherstellen. Besonders die ersten beiden seien entscheidend, da ohne Wissen darüber, welche Personen, Geräte und Anwendungen auf Organisationsdaten zugreifen oder sie verändern, echte Resilienz unmöglich sei. Dabei bedeute das Stärken der Abwehrvektoren nicht, sie undurchdringlich zu machen. Mitunter funktionierten weichere Verteidigungen besser. So wie ukrainische Panzer mit improvisierten Netzen gegen Drohnen geschützt werden, müssten auch Organisationen kreativ denken und gestufte Schutzmechanismen einsetzen, die Angriffe erschweren, ohne auf perfekte Sicherheit zu setzen.

Ferdinand Gehringer und Johannes Steger, Autoren von „Deutschland im Ernstfall“, forderten dazu auf, Kriegsszenarien zu bedenken – nicht um Panik zu erzeugen, sondern um Eskalation durch Vorbereitung zu verhindern. In „Die Stunde der Nashörner“ argumentierte Ansgar Baums, dass Lieferketten in einer turbulenten Welt zu den fragilsten Elementen von Resilienz gehören und deshalb Aufmerksamkeit auf Vorstandsebene verdienen.

Cristina Caffarra und Francesco Bonfiglio diskutierten, wie Europa mit dem „Eurostack“ Cloud-Dienste auf Hyperscaler-Niveau skalieren könnte. Stefan Pauly erinnerte daran, dass öffentliche Beschaffung schrittweise Souveränität fördern kann – nicht durch „Silver Bullets“, sondern durch kluge Vertragsgestaltung. Peter Parycek wies schließlich auf die Herausforderung der Medienresilienz hin: In einer Welt, in der über die Hälfte der Werbeeinnahmen an einzelne Influencer geht, brauche es neue Allianzen zwischen öffentlichen und privaten Medien.

Integration des Globalen

Die wohl sensibelsten Diskussionen fanden mit Rebekka Weiß (Microsoft) und Mustafa Isik (AWS) statt. Gemeinsam wurde erörtert, wie globale Plattformen europäische Resilienz stärken – statt sie zu schwächen. Beide teilten konkrete technische und organisatorische Maßnahmen, von Microsofts EU Data Boundary bis zur European Sovereign Cloud von AWS, sprachen aber auch offen über ihre Erfahrungen im Umgang mit Regulierungsbehörden und Kundinnen und Kunden – und wie diese ihre Strategien beeinflussen. Ihre Botschaft war eindeutig: Resilienz lässt sich nicht in Isolation aufbauen. Sie entsteht durch technische Schutzmechanismen, transparente Governance und die Bereitschaft, sich an europäischen Standards messen zu lassen.

Addressing the Four Questions

Im Verlauf der Diskussionen wurden alle vier Leitfragen des Gipfels eingehend beleuchtet. Wir untersuchten, wie Organisationen ihre Widerstandsfähigkeit stärken können – durch den gezielten Fokus auf Menschen, Geräte, Anwendungen und Daten. Wir debattierten, wie Schlüsselindustrien wie KI, Cloud, Energie und Verteidigung wachsen können, ohne Ressourcen zu duplizieren. Wir diskutierten, wie globale Plattformen wie AWS und Microsoft zu europäischen Bedingungen integriert werden können, um Souveränität zu stärken statt zu schwächen. Schließlich zeigte sich, dass Gemeinschaft selbst – von Forschungsallianzen bis zu nächtlichen Gesprächen – das Fundament einer gemeinsamen europäischen Resilienzkultur bildet.

Später am Abend erinnerte Paul Hammer die Teilnehmenden im Soho House an eine weitere Dimension von Resilienz. Auf der Dachterrasse, umgeben von den Gästen, betonte er, dass Gemeinschaft kein Nebengedanke, sondern eine strategische Ressource ist. Vertrauensnetzwerke entstehen in Zeiten des Friedens – durch Feste, Gespräche und Freundschaften – und genau diese Bindungen ermöglichen es uns, in ruhigen Phasen voneinander zu lernen und in Krisen zusammenzustehen. Sein Beitrag brachte den Geist des Gipfels auf den Punkt: Resilienz ist ebenso sehr eine Frage der Menschen wie der Prozesse und Technologien. 

Entstehende Prinzipien

 Aus den Debatten kristallisierten sich Prinzipien des Handelns heraus, die das Manifest prägten, das am zweiten Tag des Gipfels diskutiert wurde.

Resilienz beginnt bei den Menschen. Sie wächst durch Institutionen. Sie wird gesellschaftlich, wenn beide sich gegenseitig stärken.

 

In Zeiten des Umbruchs zu bestehen, erfordert die ehrliche Anerkennung von Verwundbarkeiten, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit über Grenzen und Sektoren hinweg sowie die Disziplin, Ideen in Taten zu verwandeln. Offenheit ist ebenso notwendig, denn Resilienz lässt sich weder horten noch abschotten – sie wird stärker, je mehr sie geteilt wird. Schließlich verlangt Resilienz, in Strömen statt in Mauern zu denken und Abhängigkeiten zu gestalten, statt so zu tun, als ließen sie sich einfach beseitigen.

Und jetzt?

 Dieser Gipfel war erst der Anfang. In Berlin entstand ein Netzwerk von Praktikerinnen und Praktikern – Führungspersönlichkeiten, Denkerinnen und Machern, die trotz Unsicherheit handeln. Die Reise geht weiter: Nächste Stationen sind Paris im Dezember, London im März, Den Haag und Wien im Frühsommer – und im September 2026 kehrt das Format nach Berlin zurück.

Resilienz lässt sich nicht ausrufen. Sie muss gelebt werden. Genau das haben wir uns vorgenommen. Wer Teil davon werden möchte, ist eingeladen, sich uns anzuschließen

Die in diesem Bericht enthaltenen Inhalte und Ansichten spiegeln ausschließlich die Position des Autors wider und sind weder dem TUM Think Tank als Institution noch seinen Mitgliedern zuzuschreiben.

Autor

Philipp Müller

FELLOW OF PRACTICE

Projekte

Philipp Müller joins the TUM Think Tank as Fellow of Practice. His project aims to operationalize “Sovereignty in the Cloud” by developing a practical framework that bridges theory and implementation for European public institutions. 

Fellowship

Integrating experienced practitioners into the work of the TUM Think Tank

Fellowship

Events

Konferenz

European Resilience Summit

Join us at the European Resilience Summit in Berlin, a growing series of high-impact gatherings across major European cities, uniting leaders from government, industry, and civil society to shape the continent’s digital sovereignty. From London to Paris, The Hague to Berlin, each summit is a catalyst for concrete action in building secure, sovereign, and trusted digital infrastructure.

Berlin
18. — 19. Sep 2025