
Weltweite Umfrage zeigt Ablehnung der uneingeschränkten Meinungsfreiheit
Die meisten Menschen befürworten die Einschränkung schädlicher Inhalte in den sozialen Medien, selbst in Ländern, die zu uneingeschränkter Meinungsfreiheit neigen. Viele glauben jedoch, dass Intoleranz und Hass im Internet unvermeidbar sind. Eine globale Umfrage des Content Moderation Lab des TUM Think Tanks und der Universität Oxford zeigt unterschiedliche Einstellungen in zehn Ländern.
Mehrheit befürwortet Moderation auf Social Media-Plattformen
Die meisten Menschen befürworten Einschränkungen für problematische Inhalte wie Gewaltandrohungen oder Verleumdungen in sozialen Medien. Dies gilt sogar für die Vereinigten Staaten, wo mehrere Plattformen in letzter Zeit zu einem uneingeschränkteren Ansatz für die freie Meinungsäußerung übergegangen sind. Die Mehrheit der Nutzer ist jedoch der Meinung, dass Intoleranz und Hass in den sozialen Medien inzwischen unvermeidlich sind.
Diese Ergebnisse stammen aus einer groß angelegten Umfrage, die vom Content Moderation Lab des TUM Think Tanks (einer Zusammenarbeit zwischen der Technischen Universität München und der University of Oxford) in zehn Ländern in Europa, Amerika, Afrika und Australien durchgeführt wurde. Die Studie zeigt auch erhebliche Unterschiede in den Einstellungen zwischen den Ländern auf.
Die Moderation von Inhalten steht im Mittelpunkt
Die weltweite Debatte darüber, ob und wie Inhalte in sozialen Medien reguliert werden sollten, hat sich in den letzten Monaten verschärft. Plattformbetreiber wie X und Meta haben ihre Regeln gegen diskriminierende Kommentare unter Berufung auf die Meinungsfreiheit gelockert. Australien hingegen hat einen strengeren Ansatz gewählt und den Zugang zu sozialen Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren verboten.
Trotz der zunehmenden Diskussion konzentrieren sich die meisten Debatten und Untersuchungen zu diesem Thema auf die Perspektive von Unternehmen, Politikern und Medien, während die Meinung der Nutzer weitgehend unerforscht bleibt. Um diese Lücke zu schließen, führte ein Forscherteam der TUM und der Universität Oxford im Herbst 2024 eine groß angelegte Umfrage durch. Sie befragten rund 13.500 Personen in sechs europäischen Ländern, den USA, Brasilien, Südafrika und Australien. Die repräsentative Studie untersuchte die Einstellung der Bevölkerung zur Balance zwischen freier Meinungsäußerung, Schutz vor digitaler Gewalt und Desinformation.
Sicherheit vor uneingeschränkter Meinungsfreiheit
Eine große Mehrheit (79 %) unterstützt die Löschung von Aufrufen zur Gewalt, wobei die Zustimmung in Deutschland, Brasilien und der Slowakei (86 %) am höchsten ist. In den USA ist die Unterstützung geringer, aber mit 63 % immer noch signifikant. Nur 14 % sind der Meinung, dass Drohungen für Gegenreden online bleiben sollten. Bei der Frage nach beleidigenden Beiträgen, die sich gegen bestimmte Gruppen richten, sind nur 17 % der Meinung, dass diese als Kritik zugelassen werden sollten. Die Zustimmung ist am höchsten in den USA (29 %), am niedrigsten in Brasilien (9 %) und am höchsten in Deutschland (15 %). Schließlich positionierten die Befragten ihr Ideal zwischen zwei Extremen: uneingeschränkte Meinungsfreiheit oder eine Plattform frei von Hass und Fehlinformationen. In allen Ländern tendierte die Mehrheit zur Sicherheit vor digitaler Gewalt und Fehlinformationen.
Wer sollte für die Sicherheit in den sozialen Medien sorgen?
Die Meinungen darüber, wer in erster Linie für ein sicheres Online-Umfeld verantwortlich sein sollte, gehen auseinander. In allen befragten Ländern glauben 35 %, dass Plattformbetreiber die Hauptverantwortung tragen sollten, 31 % sehen die Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht und 30 % die Regierungen. Die Unterstützung für eine Verantwortung der Plattformen ist relativ konstant und reicht von 39 % in Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Brasilien bis zu 29 % in Frankreich, Südafrika und Griechenland. Deutlich stärker variieren hingegen die Ansichten zur Regierungsverantwortung: Während 37 % in Deutschland und Frankreich diese teilen, sind es in der Slowakei nur 14 %. Die Auffassung, dass Einzelpersonen die Hauptverantwortung tragen sollten, ist in Schweden am stärksten verbreitet (39 %) und in Deutschland am schwächsten (17 %).
Weitverbreitete Resignation: Viele rechnen mit aggressiven Kommentaren.
Lohnt es sich überhaupt, Plattformen zu regulieren? Eine Mehrheit (59 %) glaubt, dass Konfrontationen mit Unhöflichkeit, Intoleranz und Hass in sozialen Medien unvermeidbar sind. 65 % erwarten aggressive Reaktionen, wenn sie ihre Meinung äußern – besonders stark ist diese Erwartung in Südafrika (81 %) und den USA (73 %).
„Wir beobachten eine weitverbreitete Resignation“, sagt Yannis Theocharis. „Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich trotz aller Versprechen, schädliche Inhalte zu bekämpfen, nichts verbessert. Dieser Gewöhnungseffekt ist gefährlich – er untergräbt soziale Normen und normalisiert Hass und Gewalt.“
Dennoch glauben die meisten Befragten, dass soziale Medien zivilisierte Diskussionen ermöglichen können. Nur 20 % sind der Meinung, dass Unhöflichkeit manchmal notwendig sei, um einen Punkt klarzumachen.
Empfohlene Zitierweise
Theocharis, Y., Kosmidis, S., Zilinsky, J., Quint, F., & Pradel, F. (2025). Content Warning: Public Attitudes on Content Moderation and Freedom of Expression. Content Moderation Lab at TUM Think Tank. doi.org/10.17605/OSF.IO/F56BH